Sonntag, 26. November 2017

Ausschnitt aus Juni

Juni:
Ich knüpfe direkt Ende Mai an wo ich ja geschrieben habe dass ich Ramadan machen werde. Ramadan war vom 26. Mai bis zum 24. Juni und ich habe es wirklich durchgezogen nachdem ich ein paar Tage später angefangen hatte. Eine einmalige Erfahrung, die ich bestimmt nicht so schnell vergessen werde. Der Anfang war sehr schwer. Ich habe 11 Tage gebraucht um mich wirklich daran zu gewöhnen bis zum Abend nichts zu essen und zu trinken und nicht die ganze Zeit auf die Uhr zu gucken und die Minuten und Stunden zu zählen. Erst danach hatte ich mich so weit daran gewöhnt, dass ich nicht mehr auf die Uhr geschaut habe, weil es egal war und ich musste dann Nachts auch nicht mehr zwingend nochmal etwas essen. Ich in irgendeinem Zwischenraum zwischen Gedanken und der verschwommenen Außenwelt. Dazu direkt meine Notizen von dem Monat:
“Ich bin nicht nur aufmerksamer in meinem Umkreis, nicht nur das Essen schmeckt intensiver und alles was ich um mich herum sehe ist verstärkt, sondern ich fühle auch stärker... Ich denke ich bin emotionaler, auch wenn das schwer über einen selber zu sagen ist, wenn man Mitten drinnen steckt. Ich bin jetzt daran gewöhnt nichts zu essen und zu trinken. Ich bin immer noch ruhig. Mal sehen wie das danach mit dem wieder normal essen gehen wird.

Normalerweise macht es mir nichts aus nichts zu essen und zu trinken, wenn die Anderen es tun, nicht mal wenn wir zusammen einen Ausflug machen und zusammen irgendwo sitzen, aber Gestern musste ich weg. Die harten Tage sind die, wenn man unterwegs und in der Sonne ist und sich die ganze Zeit konzentrieren muss und dabei versucht bei allem mit den Anderen mitzuhalten.

Manchmal hatte ich nicht das Gefühl, dass ich wirklich unterstützt werde und manchmal war jeder super lieb zu mir und hat versucht mir zu helfen...

Es ist einsam obwohl man umrundet vom Leben ist. Aber das ist auch irgendwie der Punkt. Somit wird Freiraum geschaffen für die Beschäftigung mit sich selber (und mit der Religion).”
Im Nachhinein kann ich sehen, dass es mich im Ganzen doch ganz schön viel Kraft gekostet hat, aber ich bin froh, dass ich es durchgehalten habe und die Erfahrung gemacht habe.

Mitte Juni bin ich dann mit einer Tour (Breaking the Silence) nach Hebron, was definitiv ein Höhepunkt in diesem Monat war!
Breaking the Silence ist eine israelische Organisation, bestehend aus Soldaten nach ihrem Wehrdienst, welche sich entschlossen haben die Öffentlichkeit über die Realität der besetzten Gebiete aufzuklären. So sind eine ganze Menge an Berichten zustande gekommen und festgehalten worden.
Kurz als Zwischeninformation: Hebron ist eine Stadt im Westjordanland und ist eine der ältesten ununterbrochen bewohnten Städte der Welt. Sie ist aus verschiedenen Gründen wichtig für alle drei großen Weltreligionen, aber besonders für das Judentum und den Islam und somit ein zentraler Konfliktpunkt. Juden und Moslems streiten und kämpfen immer noch um jedes bisschen Besitzrecht dieser Stadt. Und wer ab und an die Nachrichten in Israel verfolgt hat, weiß auch, dass Hebron der Ort ist, an dem die Besetzung am meisten spürbar ist und am aktivsten stattfindet. Immer noch. Und jeder von außerhalb, der ein bisschen Verstand besitzt, hält sich nicht zwingend länger in Hebron auf.

Schon wenn man von Jerusalem nach Hebron fährt, merkt man schnell, dass sich die Energie verändert. Man fährt nämlich an einer Menge hohen Mauern und Zäunen vorbei. Überquert Grenzübergänge und Soldaten. Und je dichter man an Hebron heran kommt, desto schlimmer wird es und desto leiser und schmaler wird die Welt.

Hebron ist unterteilt in Zonen. H1 und H2. H1 ist der größere Teil in dem Palästinenser leben und Israelis nicht erlaubt sind und H2 ist der kleinere Teil in dem Palästinenser und eben um die 800 orthodoxe Juden leben, geschützt von israelischen Soldaten. Anders als in anderen Städten im Westjordanland leben in Hebron eben die Juden auch im Stadtzentrum, in manchen Situationen Tür zu Tür zu den Palästinensern und nicht in separaten Siedlungen. Schikane und Gewalt gegen Palästinensern erlebt man hier jeden Tag. Sogar nur wenn man wie ich einen Tag dort verbringt.

Die Innenstadt von Hebron ist eine Geisterstadt. Seit 2000 wurden um die 1800 Geschäfte geschlossen und mehrere Tausend Familien sind aus der Innenstadt geflohen. Irreal. Verlassene Straßen, einsame Soldaten und die pralle Sonne, welche dir einzureden versucht, dass, wenn man es sich nur kräftig genug vorstellt Hebron voller Frieden ist.
Ich glaube das Besondere an Hebron ist, dass man dort keine Ausreden und Ausflüchte mehr suchen kann. Kein Runterspielen, Kleinreden und wegschauen. Es packt dich einfach und zeigt dir was du eigentlich eh schon wusstest, aber schnell vergessen kannst.
Das Ding mit Israel ist, dass du immer egal wo du lebst in einer Blase lebst. Ob Harduf, Tel-Aviv, Jerusalem, Westbank, Golans. Egal wo du in Israel bist, es ist Grundverschieden. Deswegen ist das vergessen so einfach. In keinem anderen Land, welches ich kenne ist das Land in so viele verschieden gespaltene Welten aufgeteilt.

„Laufe mit der Gruppe von Breaking the Silence durch Hebron. Schon von Anfang an werden wir belagert von einem orthodoxen Juden der uns anpöbelt und Politik betreibt. Es ist schwer nicht drauf einzugehen, aber ich bin ja jetzt ein sehr geduldiger Mensch. Unser Leiter kennt den Mann schon.
Die Energie ist schwer und dick und drückt die Luft zur Seite. Atme schneller um die Luft nicht zu verpassen. Versage kläglich, aber das mag auch daran liegen, dass es sehr heiß und immer noch Ramadan ist und ich schon lange nichts mehr getrunken habe.
Wir sind in einer jüdischen Straße und kommen zu dem einen Haus, in welchem Palästinenser wohnen. In einem Haus zwischen all den anderen jüdischen Häusern. Das Haus ist eingezäunt. Von oben bis unten. Von allen Seiten. Dicke Stahlgitter zieren die Fassade, die vielleicht schön wäre, wenn sie in Freiheit da stehen würde. Tut sie aber nicht. Den Arabern in dem Haus ist es nicht erlaubt den Vordereingang zu benutzen. Soldaten stehen herum und beschützen.... warte wen? Wozu der Käfig? Um die die palästinensische Familie zu schützen oder um die Juden zu schützen? Naja kann man ja schnell mal verwechseln.. und wenigstens ist der Metallkäfig in dem die Familie lebt in verschiedenen Farben... Oder vielleicht ist es auch nur das verblasste Metall... vielleicht.“
(Hebron die Geisterstadt/Juni 2017)

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