Sonntag, 26. November 2017

Rückblick

Was ist mit mir passiert in diesem einen Jahr in Israel?
Wenn ich jetzt zurückblicke auf meine Erwartungen an mich selbst dann habe ich diese mehr als nur erfüllt. Ich bin gewachsen und habe mich verändert. Ich bin fließend in Englisch geworden was mehr als nur schwierig für mich war. (Wie man an meinem Deutsch inzwischen merkt, welches ich einfach nicht mehr so oft benutze).
Ich habe so viele Menschen aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt kennen gelernt und mir ein Netzwerk aus Freunden in der Welt aufgebaut. Ich bin ein paar mal über meinen eigenen Schatten gestolpert und habe gelernt das nächste mal drüber hinweg zu springen.
Und ich habe einen enormen Wissensstand und Erfahrungsstand angesammelt. Lebenswissen und Lebenserfahrung. Durchs einfache leben, Neugierde und ein bisschen Mut.. Ich habe zwei unterschiedliche, sehr verschiedene Kulturen kennen gelernt mit zwei verschiedenen Sprachen, die gar nicht so weit entfernt voneinander liegen wie man denkt. Habe unterrichtet, mit der Erde gearbeitet und mit Menschen die äußerlich auf mich angewiesen sind, mir aber innerlich so viel beibringen konnten.
Und ich habe ein phänomenales, mir magisches Land kennen gelernt mit einer Intensität und einer geballten Energie, die ich von keinem anderen Land kenne und die ich immer noch nicht einordnen kann.
Ich kenne den nördlichsten Norden und den südlichsten Süden Israels. Die Mitte und die Straßen dazwischen. Die unterschiedlichsten Menschen. Nationalitäten und Identitäten.
Die Berge im Norden und im Süden. Salzwasser und Süßwasser. Den Staub der Nordsteine und den Staub der Wüste. Und ein kleines bisschen Grün von überall dazwischen.
Ich kenne politische Sichtweisen und Lebensweisheiten und einiges an lauten Meinungen.
Ich kenne den Sonnenaufgang hinter den Hügeln und den Sonnenuntergang entlang der Küste. Den Gesang des Muezzin und die stillen Straßen an Schabbat und Feiertagen.
Ich habe die schönsten Orte gesehen und einige der nicht so schönen. Und ich habe mich ein Stück weit gefunden. Und ein Ansatz eines Lebens. Eines schwierigen, aber eines, welches ich leben will.
Also ist es kein Wunder, dass ich jetzt wieder in Israel bin. Im gleichen Wald, aber in einem der Zelte lebe und das Grundjahr der Anthroposophie mache und mich von der Welle treiben lasse, die mich im Moment ein Stück ihres Weges mitnimmt. Nicht wegen der Dinge die ich kenne, sondern wegen all der Dinge, die ich nicht kenne und nicht weiß und die ich auch gar nicht benennen kann. Und das ist eine Menge. Eine Menge, die ich kennen lernen und herausfinden will.

Ausschnitt aus September/Abschluss

September und Abschluss:
 
Es ist wahrscheinlich ein Gesetzt der Zeit und des Erlebens, dass am Ende nochmal die besten Dinge passieren, die nur passieren können.
Die neue Gruppe kam an und die neuen nachfolgenden Freiwilligen, die mich „ersetzen“ für das nächste Jahr auch. Vielleicht liegt es an mir und an der gesamten Erfahrung die ich nach einem Jahr Gemeinschaftsleben habe, aber vielleicht war es auch einfach so. Denn die neue Gruppe ist meine Lieblingsgruppe geworden und mit Spaß und Fröhlichkeit habe ich mit denen meinen letzten Monat verbracht. Ich habe mich noch ein Stückchen wohler in Harduf gefühlt und noch ein Stückchen mehr in Israel und mehr und mehr einen wunderbaren Menschen kennen gelernt. Und wieder habe ich die größten Feiertage miterleben dürfen und zudem erlebt, dass manche Klischees einer jüdischen Mutter definitiv wahr sind.
Anfang Oktober, bevor ich geflogen bin hat hier in Sha'ar laAdam noch die Friedensübungswoche stattgefunden, welche alle zwei Jahre stattfindet. Mit einer großen Gruppe aus Europa und ein paar Interessierten aus Harduf. Ich hab an allen Ecken und Enden noch mitgeholfen, sodass ich innerlich gar keine Zeit hatte um mich auf das Zurückkommen einzustellen und gefasst zu machen. Ein Jahr geht manchmal schnell rum, ist aber eine lange Zeit um einem Ort fernzubleiben.
Und dann kam es plötzlich. Das Ende meines Dienstes.
Abschiedszeit. In der Schule, von der Gruppe, von meinem Leben als Freiwillig. Und ich irgendwo dazwischen.... Und ein unsicherer Hauch einer Idee für meinen nächsten Schritt. Mit einer Menge an Gedanken… Natürlich wollte ich in Israel bleiben. Aber ohne einen wirklichen Grund der mich voranbringt, hält es mich nirgends.
Die Idee das Grundjahr der Anthroposophie hier in Harduf zu machen hatte ich zwar schon vorher gehabt, aber nie ernsthaft. Zum Einen weil das deutsche Unterstützungssystem in Sachen Unterhalt und Bildung auf welches ich angewiesen bin, speziell wenn ich alleine weiter in Israel leben will, nicht außerhalb von Deutschland greift und zum Anderen weil das Grundjahr in Harduf auf Hebräisch ist.
Aber deswegen gibt es wahrscheinlich diese speziellen Menschen in einem Leben wie Ya'akov der Kopf von Harduf und einer der Lehrer in dem Grundjahr die einem immer und immer wieder erzählen dass man doch bleiben könnte und das Grundjahr irgendwie ins englische übersetzen könnte.... Und so wurde der Hauch zu einer lauten Hoffnung.
Also bin ich zurück nach Deutschland geflogen. Mit einer Einladung zum Grundjahr der Anthroposophie in Harduf, einem Freund in Israel und all den lieben Menschen in Sha'ar en.
laAdam und drum herum, den ich versprochen hatte, dass ich wiederkommen würde und Tränen im Flugzeug weil ich nicht gehen wollte... aber ohne einem Rückflugdatum und mit einer Menge an Zeit zum nachdenken...

(Jerusalem/August 2017)

Ausschnitt aus August

August:
Meine letzten beiden Monate im offiziellen Dienst. Und die besten! Ab Mitte August bis zum Ende verlief alles wie es nicht hätte besser sein können. Einschneiden und Intensiv wie es nur in Israel sein kann. Ein bisschen wie in einem Traum oder einem Märchen. Nur das es Realität war. Die schöne Seite der Realität. Und mit einer nochmal so geballten Intensität, sodass es kein Wunder ist, dass ich mich in Israel verliebt habe. Im doppelten Sinne...
Der August verlief anfänglich größtenteils normal. Ausflüge mit der Gruppe, Arbeiten auf der Farm und im Stall in Beit Elisha und im Wald um den Wald schnellstmöglich wieder in Gang zu bekommen und bewohnbar zu machen. Mitte August wurde der August dann phänomenal. Das fing damit an, dass ich mit einem Mädchen aus der Sommergruppe spontan nach Eilat gefahren bin und ein paar Tage dort verbracht habe. Dabei war es zwar wunderschön das Rote Meer zu sehen und auch mal im südlichsten Süden von Israel gewesen zu sein, aber nach Eilat zieht es mich kein zweites Mal. So viel protzigen Tourismus habe ich nicht mal in Tel-Aviv erlebt. Aber dafür ist ein weiterer Punkt auf meiner Israel Karte damit geschafft und eine Menge an Spaß auch.

(Eilat mit Blick auf Jordanien/August 2017)

Kurz danach ist auch die Sommergruppe gegangen und ich habe meine Schwester abgeholt die mich hier für zwei Wochen besucht hat, mit meiner besten Freundin, die etwas später gekommen ist. Ich hatte dann also über zwei Wochen Ferien und habe versucht meinen Gästen wenigstens das Wichtigste in Israel zu zeigen. Ich bin mit Hanna also in Haifa gewesen, wir haben uns das kleine Konzert von Harduf in unserem kleinen Pub angehört (sehr anthroposophisch) und dann kam auch schon Min-Dju mit ihrer Mutter nach Harduf.
Es ist komisch plötzlich sein altes Leben im Neuen wiederzufinden. Als würde man plötzlich eine Brücke bauen. Von einem Ende zum Anderen.
Min-Dju, Hanna und ich. Wir sind dann zu dritt erst einmal ein paar Tage nach Jerusalem gefahren. Und endlich endlich habe ich die Altstadt von Jerusalem gesehen und alle Heiligtümer drum herum. Ich war schon vorher ein paar Mal in Jerusalem, aber immer nur in anderen Ecken und habe mir diesen besonderen Besuch noch für den Moment mit viel Zeit aufgehoben. Und das war es auch wert!
Wir haben uns erst mal ein super günstiges Hostel direkt in der Altstadt geschnappt, bei dem man auf dem Dach übernachten konnte und die beste Aussicht überhaupt hatte. Ein paar Schritte und man stand direkt auf dem Markt, zwischen den Ständen, auf lauten Stimmbändern von den verschiedensten Angeboten aus allen Richtungen. Enge Gassen zum verlaufen (ich hatte bis zum Schluss keine Orientierung) und ein Geruch nach dem Anderen.
Wir sind die gesamte Altstadt abgelaufen, von einer Ecke zur Anderen. Vom arabischen zum christlichen zum jüdischen und zum armenischen Viertel, haben uns die Klagemauer angeschaut und uns zu den klagenden Frauen dazu gesetzt und sind auf den Tempelberg gegangen mit Felsendom und Al-Aqsa Moschee und das sogar zweimal, weil es uns so gut gefallen hat.

(Altstadt von Jerusalem/August 2017)
(Klagemauer/August 2017)
(Al-Aqsa Moschee/August 2017)   
(Felsendom/August 2017)

(Jaffa-Gate/August 2017)

(Hanna (li.) und ich/August 2017)

Die Grabeskirche und andere kleinere Kirchen haben wir auch besucht und dann habe ich die beiden sogar noch zum Yad Vashem, zum Holocaust Museum mitgenommen, welches sehr beeindruckend war. Ich hatte vorher nur einen kleinen Teil des Museums gesehen und kannte demnach die komplette Ausstellung auch gar nicht. Und mit viel Zeit und Geduld und einem offenen inneren Raum sind wir alleine zusammen mehrere Stunden durch das Museum gestreift und haben uns mit der Vergangenheit und ein Stück Gegenwart beschäftigt und natürlich hat die Zeit nicht gereicht, aber die Geballtheit der Informationen.
Wir haben Jerusalem noch um einen Tag verlängert und sind dann weiter zum Toten Meer gefahren nach En Bokek, ein Platz voller Hotels und Tourismus Mitten in der Wüste, aber da wir am Strand schlafen wollten und mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs waren, blieb unsere Wahlmöglichkeit eher eingeschränkt. Zudem sinkt das Tote Meer immer weiter ab und es gibt nicht mehr so viele Stellen an die man ans Wasser kann, ohne dass man einbricht.
Es war heiß, sonnig und ganz schön salzig. Und wunderschön!
Wir haben es dann aber doch nicht so lange dort ausgehalten. Vielleicht weil wir nicht wissen wie man entspannt und nur in der Sonne liegt und nichts tut, oder vielleicht weil wir nach den ganzen Tagen schon ein bisschen erschöpft waren. Gute getan hat es trotzdem. Und mein Buch gelesen hab ich auch. Liegend auf dem Wasser. Getragen vom Salz.
Am 27.8.2017 ein Tag vor meinem 21. Geburtstag sind wir morgens nach Tiberias und zum See Genezareth gefahren und dann direkt weiter in den Norden in die nördlichen Golan Berge Richtung Mount Hermon.
Ganz spontan und einfach so. Weil wir einmal nach Syrien gucken wollten. Und was ist besser an einem 21.Geburtstag als die Aussicht auf ein bisschen Krieg zu beobachten...
Der Hermon liegt im Grenzbereich zwischen Syrien, Libanon und Israel und ist der höchste Berg Syriens und durch den besetzten Teil durch Israel, auch Israels. Außer dem Israelischen Militär, liegt an der Spitze ein UN-Stützpunkt und da dort oben in den Golan Höhen der einzige Ort ist, wo im Winter auch mal Schnee fällt, ist es zudem ein kleines Wintersportgebiet.
Wir, also ganz spontan über Tiberias in den Norden. Fröhlich und abenteuerlustig. Und nachdem wir mit dem Bus die ganzen kleinen Städtchen abgefahren sind, sind wir ganz zum Schluss in dem nördlichsten Städtchen Majdal Shams gelandet, welches für uns zugänglich war. Eine kleine Drusen Stadt, ehemals eigentlich Syrien aber seit 1967 besetzt durch Israel und einer meiner Lieblingsplätze in Israel. Total offene und herzliche Menschen und eine gute Gelegenheit in die Kultur der Drusen einzutauchen. Spontan wie wir waren haben wir irgendwie umsonst die eine Nacht in einem Hotel übernachten können, welches voll von angeheuerten israelischen Soldaten war. Im Endeffekt haben wir auf diesem Abenteuer in einem Musikladen nebenan den ganzen Abend Musik gemacht, uns über die Identitätsfrage der Drusen dort unterhalten, welche als syrische Bürger bezeichnet werden mit permanentem Aufenthalt in Israel und nur wenige jetzt übergegangen sind in „Israelischer Bürger“ und viele andere nette Menschen kennen gelernt, meinen Geburtstagssekt am Abend im Hotel getrunken, mich dabei noch mal schnell verliebt und damit einen der wichtigsten Menschen in meinem Leben gefunden und am nächsten Morgen rauf zum Hermon gegangen und auf Syrien geguckt und dessen Dörfer bewundert.
Aber meine Geburtstagsaussicht an dem Tag war ruhig und sonnig. An vielen anderen Tagen, oder auch wenn man ein bisschen länger sitzen bleibt als ich, kann man die Raketen sehen und hören die von dem einen syrischen arabischen Dorf in das andere syrische Drusendorf fliegen.
Aber so saßen wir auf wackeligen syrischen Steinen zwischen Militärstützpunkten und Soldaten und Panzern und plötzlich war ich ein Jahr älter. Ohne grau zu werden. Und ohne mein Gleichgewicht zu verlieren.

(Majdal Shams/August 2017)
(Mt. Hermon - Aussicht auf Syrien/August 2017)
Der August Endete dann damit, dass Hanna wieder zurück geflogen ist und ich mit Min-Dju noch Abschlusstage in Tel-Aviv verbracht habe, bevor sie dann auch zurück geflogen ist und ich wenige Tage später, Anfang September zurück in den Wald ziehen durfte und mein letzter Monat begann.

Ausschnitt aus Juli

Juli:
Der Juli fing damit an, dass ich 5 Tage in Tel-Aviv verbracht habe, welche richtig schön waren und wo ich die Möglichkeit hatte die Stadt noch einmal ganz anders kennen zu lernen und wo mir noch einmal aufgefallen ist, wie klein die Stadt doch ist. Aber auch wie vielseitig, was mich dann wieder sehr an Hamburg erinnert hat. Bis ich dann plötzlich, am Strand liegend den Anruf bekam, dass die Begegnungsstätte, also mein Zuhause von der Brandschutzgesellschaft vorübergehend geschlossen werden muss.
Warum die plötzlich nach 15 Jahren ankamen und uns genau jetzt einiges an Bestimmungen und Richtlinien auferlegt haben, weiß keiner, aber jedenfalls mussten wir plötzlich Wasserrohre von Harduf bis zum Wald anlegen und bestimmte Feuerschutzfarbe an den Wänden haben, Springkleranlagen installieren und einiges mehr. Ich musste also umziehen und habe dann im Prinzip zwei Monate in Harduf im Theater gelebt. Das positive daran war, dass wir damit dann endlich starkes Wasser in unserem Wald hatten und somit auch richtige Toiletten eingebaut wurden, anstatt unserer netten Komposttoiletten.
Ich bin also in das Theater umgezogen und die kurze Sommergruppe, welche ich dann für einen Monat begleiten durfte, auch. So habe ich den Sommer damit verbracht die Gruppe, welche aus Amerikanern, Australierinnen und Mexikanern bestand, zusammen zu führen und gleichzeitig so viel wie möglich im Wald zu helfen, um den Wald so schnell wie möglich wieder bewohnbar zu machen. Zudem waren viele kleiner Dinge wie Wanderungen zu Gegenden, wo ich vorher auch noch nicht war Programm und wieder die Zeit der arabischen Hochzeit, wo ich dann auf einer Hochzeit eingeladen wurde von Leuten die ich sogar kannte. Ich weiß nicht ob es daran lag, dass sich alles veränderte oder daran dass es Sommer war oder daran, dass wieder diese typische Intensität Israels in der Luft lag, aber es war nicht unbedingt der leichteste Monat. Und zum ersten Mal konnte ich wirklich nachvollziehen warum fast alle Kriege in Israel im Sommer angefangen haben.

Ausschnitt aus Juni

Juni:
Ich knüpfe direkt Ende Mai an wo ich ja geschrieben habe dass ich Ramadan machen werde. Ramadan war vom 26. Mai bis zum 24. Juni und ich habe es wirklich durchgezogen nachdem ich ein paar Tage später angefangen hatte. Eine einmalige Erfahrung, die ich bestimmt nicht so schnell vergessen werde. Der Anfang war sehr schwer. Ich habe 11 Tage gebraucht um mich wirklich daran zu gewöhnen bis zum Abend nichts zu essen und zu trinken und nicht die ganze Zeit auf die Uhr zu gucken und die Minuten und Stunden zu zählen. Erst danach hatte ich mich so weit daran gewöhnt, dass ich nicht mehr auf die Uhr geschaut habe, weil es egal war und ich musste dann Nachts auch nicht mehr zwingend nochmal etwas essen. Ich in irgendeinem Zwischenraum zwischen Gedanken und der verschwommenen Außenwelt. Dazu direkt meine Notizen von dem Monat:
“Ich bin nicht nur aufmerksamer in meinem Umkreis, nicht nur das Essen schmeckt intensiver und alles was ich um mich herum sehe ist verstärkt, sondern ich fühle auch stärker... Ich denke ich bin emotionaler, auch wenn das schwer über einen selber zu sagen ist, wenn man Mitten drinnen steckt. Ich bin jetzt daran gewöhnt nichts zu essen und zu trinken. Ich bin immer noch ruhig. Mal sehen wie das danach mit dem wieder normal essen gehen wird.

Normalerweise macht es mir nichts aus nichts zu essen und zu trinken, wenn die Anderen es tun, nicht mal wenn wir zusammen einen Ausflug machen und zusammen irgendwo sitzen, aber Gestern musste ich weg. Die harten Tage sind die, wenn man unterwegs und in der Sonne ist und sich die ganze Zeit konzentrieren muss und dabei versucht bei allem mit den Anderen mitzuhalten.

Manchmal hatte ich nicht das Gefühl, dass ich wirklich unterstützt werde und manchmal war jeder super lieb zu mir und hat versucht mir zu helfen...

Es ist einsam obwohl man umrundet vom Leben ist. Aber das ist auch irgendwie der Punkt. Somit wird Freiraum geschaffen für die Beschäftigung mit sich selber (und mit der Religion).”
Im Nachhinein kann ich sehen, dass es mich im Ganzen doch ganz schön viel Kraft gekostet hat, aber ich bin froh, dass ich es durchgehalten habe und die Erfahrung gemacht habe.

Mitte Juni bin ich dann mit einer Tour (Breaking the Silence) nach Hebron, was definitiv ein Höhepunkt in diesem Monat war!
Breaking the Silence ist eine israelische Organisation, bestehend aus Soldaten nach ihrem Wehrdienst, welche sich entschlossen haben die Öffentlichkeit über die Realität der besetzten Gebiete aufzuklären. So sind eine ganze Menge an Berichten zustande gekommen und festgehalten worden.
Kurz als Zwischeninformation: Hebron ist eine Stadt im Westjordanland und ist eine der ältesten ununterbrochen bewohnten Städte der Welt. Sie ist aus verschiedenen Gründen wichtig für alle drei großen Weltreligionen, aber besonders für das Judentum und den Islam und somit ein zentraler Konfliktpunkt. Juden und Moslems streiten und kämpfen immer noch um jedes bisschen Besitzrecht dieser Stadt. Und wer ab und an die Nachrichten in Israel verfolgt hat, weiß auch, dass Hebron der Ort ist, an dem die Besetzung am meisten spürbar ist und am aktivsten stattfindet. Immer noch. Und jeder von außerhalb, der ein bisschen Verstand besitzt, hält sich nicht zwingend länger in Hebron auf.

Schon wenn man von Jerusalem nach Hebron fährt, merkt man schnell, dass sich die Energie verändert. Man fährt nämlich an einer Menge hohen Mauern und Zäunen vorbei. Überquert Grenzübergänge und Soldaten. Und je dichter man an Hebron heran kommt, desto schlimmer wird es und desto leiser und schmaler wird die Welt.

Hebron ist unterteilt in Zonen. H1 und H2. H1 ist der größere Teil in dem Palästinenser leben und Israelis nicht erlaubt sind und H2 ist der kleinere Teil in dem Palästinenser und eben um die 800 orthodoxe Juden leben, geschützt von israelischen Soldaten. Anders als in anderen Städten im Westjordanland leben in Hebron eben die Juden auch im Stadtzentrum, in manchen Situationen Tür zu Tür zu den Palästinensern und nicht in separaten Siedlungen. Schikane und Gewalt gegen Palästinensern erlebt man hier jeden Tag. Sogar nur wenn man wie ich einen Tag dort verbringt.

Die Innenstadt von Hebron ist eine Geisterstadt. Seit 2000 wurden um die 1800 Geschäfte geschlossen und mehrere Tausend Familien sind aus der Innenstadt geflohen. Irreal. Verlassene Straßen, einsame Soldaten und die pralle Sonne, welche dir einzureden versucht, dass, wenn man es sich nur kräftig genug vorstellt Hebron voller Frieden ist.
Ich glaube das Besondere an Hebron ist, dass man dort keine Ausreden und Ausflüchte mehr suchen kann. Kein Runterspielen, Kleinreden und wegschauen. Es packt dich einfach und zeigt dir was du eigentlich eh schon wusstest, aber schnell vergessen kannst.
Das Ding mit Israel ist, dass du immer egal wo du lebst in einer Blase lebst. Ob Harduf, Tel-Aviv, Jerusalem, Westbank, Golans. Egal wo du in Israel bist, es ist Grundverschieden. Deswegen ist das vergessen so einfach. In keinem anderen Land, welches ich kenne ist das Land in so viele verschieden gespaltene Welten aufgeteilt.

„Laufe mit der Gruppe von Breaking the Silence durch Hebron. Schon von Anfang an werden wir belagert von einem orthodoxen Juden der uns anpöbelt und Politik betreibt. Es ist schwer nicht drauf einzugehen, aber ich bin ja jetzt ein sehr geduldiger Mensch. Unser Leiter kennt den Mann schon.
Die Energie ist schwer und dick und drückt die Luft zur Seite. Atme schneller um die Luft nicht zu verpassen. Versage kläglich, aber das mag auch daran liegen, dass es sehr heiß und immer noch Ramadan ist und ich schon lange nichts mehr getrunken habe.
Wir sind in einer jüdischen Straße und kommen zu dem einen Haus, in welchem Palästinenser wohnen. In einem Haus zwischen all den anderen jüdischen Häusern. Das Haus ist eingezäunt. Von oben bis unten. Von allen Seiten. Dicke Stahlgitter zieren die Fassade, die vielleicht schön wäre, wenn sie in Freiheit da stehen würde. Tut sie aber nicht. Den Arabern in dem Haus ist es nicht erlaubt den Vordereingang zu benutzen. Soldaten stehen herum und beschützen.... warte wen? Wozu der Käfig? Um die die palästinensische Familie zu schützen oder um die Juden zu schützen? Naja kann man ja schnell mal verwechseln.. und wenigstens ist der Metallkäfig in dem die Familie lebt in verschiedenen Farben... Oder vielleicht ist es auch nur das verblasste Metall... vielleicht.“
(Hebron die Geisterstadt/Juni 2017)