Montag, 5. Juni 2017

Ausschnitt aus Mai

Mai:
Ende April, Anfang Mai haben wir dann noch die anderen beiden großen Feiertage gefeiert.
Am 1.Mai war der Nationale Gedenktag. Also der Gedenktag an die gefallen israelischen Soldaten und Opfer des Terrors. Der Gedenktag beginnt wie jeder Feiertag am Abend zuvor und wird wie auch schon der Holocaust Gedenktag mit den Sirenen eingeläutet. Am Morgen folgten dann um 11:00 die Sirenen für zwei Minuten nochmal. Für mich war dieser Tag viel intensiver als der Holocaust-Tag. Wir waren wieder in Beit Elisha zu einer Zeremonie eingeladen, welche wieder wunderschön gestaltet war und wieder einmal ist mir bewusst geworden dass unter dieser fröhlichen, tiefen Schicht der Israeli, eine Seite voller Trauer steckt. So gut wie jeder in diesem Land hat jemanden verloren, den er kannte und jeden Tag kommen Opfer dazu. Von den meisten Menschen habe ich jetzt schon gehört, dass immer wenn etwas passiert jeder hofft die Person nicht zu kennen und wenn dann der Name des Kibbutz oder des Ortes rauskommt aus dem das Opfer stammt, eine hohe Chance besteht, dass sie diesen Menschen doch gekannt haben. Israel und auch Palästina ist ein kleines Land und die Menschen kennen sich hier.
Schauen wir uns nur mal die letzten paar Tage mit Beispielen an um es zu verdeutlichen.
30.Mai 2017– Ein Israeli fährt mit seinem Auto durch ein Protest von Palästinenser. Es wird hektisch. Demonstranten wenden sich gegen das Auto. Der Israeli erschießt einen Demonstranten und verletzt einen weiteren.
31. Mai 2017– Eine Frau wird in Tel-Aviv in einer Schießerei erschossen ein anderer verletzt.
2. Juni 2017– Ein 15 Jähriges Palästinensisches Mädchen versucht auf einen Soldaten einzustechen, sie wird sofort angeschossen. Filme zeigen wie die Soldaten sie beleidigen während sie blutend und weinend daliegt. Das Mädchen stirbt.
Dazu kommen noch die Stromausfälle in Gaza, Hungerstreiks und all die Vorfälle an den Grenzen und in Syrien von israelischer Seite. Klar, dies sind „kleine Vorkommnisse“ . Aber sie passieren jeden Tag und zwar nur wegen dem Konflikt und es gibt bestimmt mehr von denen ich gar nichts weiß. Hier im Norden und mit der israelischen Presse ist es einfach zu vergessen, das Israel im Krieg und tief zerüttelt ist.
Ein Grund wieso der Unabhängigkeitstag also direkt nach dem nationalen Gedenktag stattfindet,ist, um die Menschen daran zu erinnern, welcher Preis für die Unabhängigkeit gezahlt werden musste.

Am 8.Mai bin ich dann mit den anderen deutschen Freiwilligen von Beit Elisha nach Jerusalem gefahren da unser Bundespräsident Steinmeier zu Besuch in Israel war und eine Veranstaltung für alle deutschen Freiwilligen Helfer oder Berufe organisiert hat. Ich hab mich plötzlich wieder wie in Deutschland gefühlt. Um mich herum all die schick gekleideten Leute, Diplomaten, Freiwillige und ich als Waldmensch zwischendrin. Mir ist nicht mal in den Sinn gekommen mich aufzustylen nach westlicher Art und so gab es doch einige Blicke für uns deutschen aus Harduf mit unseren bunten, freien anthroposophischen Stil. „Im Herzen sehen wir doch alle so aus.“
Ich glaube mir ist jetzt noch mal bewusster geworden, was mein Status als Deutsche ist und wie viele Privilegien ich doch genieße.

Ein weiteres Thema war wieder Musik für mich im Mai. Ich hab wieder viel improvisiert und mein Cello wieder unglaublich vermisst. Jetzt ist es aber auch wieder so warm (um die 30Grad), sodass die Abende anfangen, wo man am Feuer sitzt und musiziert.
Auch haben wir jetzt mit den Biografiearbeiten in dieser Gruppe angefangen, also wird auch das in der nächsten Zeit etwas sein, was mich beschäftigen wird.
Auch habe ich dann den Schritt gemacht ein bisschen mehr Kontakt wieder nach Hause zu haben, nachdem mir meine Schwester eine etwas verzweifelte Nachricht geschickt hat. Es ist eben manchmal doch nicht die einfachste Situation die einzige zu Hause zu sein, nachdem Raffael und ich uns etwas davon geschlichen haben in allen Bereichen. Schon gar nicht wenn jemand im Moment seine Krankheit bekämpfen muss und dann eben doch alles drunter und drüber geht und die Energie schwer haltbar ist. Und so gerne ich nicht in all das und Deutschland involviert sein will, kann man vor seiner Rolle nur eine bestimmte Zeit die Augen verschließen oder weglaufen.

Die letzten beiden Wochen waren jetzt auch nochmal richtig schön, denn eine Menge an Theaterstücken und Werken wurden erarbeitet und gezeigt.
Die Leute aus dem Grundjahr der Anthroposophie (26 junge Menschen) haben drei Wochen hier im Wald verbracht und beide Teile von Jim Knopf als Theaterstück eingeübt, welches sie dann auch 4 Tage lang gezeigt haben. Ein 5 Stunden langes Stück mit einem gigantischen Bühnenbild. Den Mai über war der Wald also mal richtig belebt und ich habe es genossen so viele nette Leute hier zu haben.
Auch meine Gruppe ist intensiver ans Theaterproben gegangen und wir haben fleißig an unserem Stück Pu der Bär geprobt. Auch Beit Elisha hat mit den Freiwilligen und den Membern ein Märchen als Theaterstück eingeprobt und aufgeführt, was unglaublich schön geworden ist. Zudem kamen an dem einen Wochenende auch alle Eltern der Member und es gab ein großes Fest nach der Aufführung.
Sehr schön war es, als Carola und Ulf, Hanna's Patentante letzte Woche in Harduf waren und mir nicht nur meinen Laptop mitgebracht hat, sondern ich auch ein wenig Zeit mit ihr verbringen konnte und ich ihr erzählen konnte wie es mir hier so ergeht.
Am 30. Mai haben wir dann den Wald schön geschmückt für unser großes Shavuot Festival und sind am Abend nach GanHabait gegangen, der organischen Farm von Harduf. Was einfach auch richtig schön war, denn so gut wie ganz Harduf war dort und mir ist dann aufgefallen, dass ich mir hier doch richtig etwas aufgebaut habe und ich Freundschaften von den verschiedensten Kreisen habe. Von den Leuten aus meiner Gruppe, den Waldleuten, den Freiwilligen aus Deutschland und Israel zu den Leuten die das Grundjahr der Anthroposophie machen oder auch Speech und Drama studieren oder auch einfach Leute aus Harduf, die man nach der Zeit einfach kennen lernt. Und wenn man dann den Moment erreicht, wo man auf einer Veranstaltung ist und jeden Meter stehen bleibt, weil man jemanden begrüßt den man kennt, dann fühlt sich das mehr als zu Hause an. Ich
bin also wie immer erfüllt von all den kleinen Begegnungen und Momenten, die ich sehr nah an meinem Herz trage und für mich so kostbar sind. 

  (Meine Gruppe in GanHabait: v.li.n.r.:Joe, Leah, Michael, Ryan, Ich, Jordan, Carly, Mai und Ross)

Am 31.Mai haben wir dann unser großes Shavuot Festival hier im Wald gehabt. An Shavuot erinnert man sich an den Empfang der 10 Gebote, zudem ist es im Prinzip auch ein Erntedankfest und das christliche Pfingsten. Wir haben einige Kunstworkshops gehabt und unser Theaterstück aufgeführt. Zudem hat die Koexistenz Theatergruppe und das erste Jahr Speech und Drama auch ihre Stücke aufgeführt. Am Ende gab es noch eine Friedensdiskussion, in welcher ein Palästinenser unter anderem von seinem Leben erzählt hat, was wie immer sehr beeindruckend war.
Wie auch in Deutschland hat am 27.Mai der Ramadan angefangen und ich habe mich jetzt entschlossen Ramadan mit zu machen. Ich hab zwar ein paar Tage später angefangen, bin aber fest entschlossen den ganzen Monat durch zu ziehen. Konkret heißt das: Zwischen 4:00 morgens und 20:00 (Zeiten variieren von Land zu Land) darf nichts gegessen und getrunken werden. Und generell den Monat kein Rauchen, Sex und Alkoholkonsum. Warum? Ich bin nach Israel gekommen um die Kulturen hier kennen zu lernen. Ich hab eine gute Vorstellung von der jüdischen, aber die arabische ist genauso ein Teil dieses Landes. Manche Dinge muss man ausprobieren um sie zu verstehen, das habe ich schon gesagt als ich die eine Woche letztes Jahr ein Kopftuch getragen habe und Ramadan gehört auch unter diese Rubrik. Jetzt ist die beste Zeit um Ramadan auszuprobieren und solidarisch hinter den Muslimen hier zu stehen und meine Grenzen aus zu testen und an mir zu arbeiten wenn ich durstig und hungrig und müde bin, weil ich Nachts um 3:30 aufstehen muss um zu essen.


(AlonHaGalil)


(Wald vorbereitet für Shavuot)

(Es wird Sommer)

8 Monate. Und vielleicht habe ich immer noch nicht den Grund gefunden wieso ich hier bin, aber wenn ich nur auf die letzten Monate zurück blicke, ergeben all die Sekunden, Minuten, Momente, Begegnungen einen Sinn in einem Bild voller Progress und Veränderung.
Was treibt uns an, uns fortwährend verändern zu wollen? Die Menschen um uns herum? Die Idee ein guter Mensch sein zu wollen oder zu müssen?
Jetzt habe ich mich entschlossen noch 6 Wochen länger hier zu bleiben, sodass ich auch noch in der Friedensübungswoche Anfang Oktober dabei sein kann und komme erst danach wieder zurück nach Deutschland. Ich hab also sogar noch einiges an Zeit und trotzdem fangen langsam meine Gedanken und Gefühle an sich zu verändern. In dem Sinne, dass ich nach all der Zeit langsam und vorsichtig anfange Momente und Situationen mit meinen Freunden zu vermissen.
Und trotzdem strauchle ich etwas bei dem Gedanke an 'zurück gehen'. Was, wenn ich all das erlebte, all den Progress , all die kleinen spirituellen Geschenke, Schubser und Veränderungen, die ich hier bekomme und mache, verliere und/oder nicht halten kann wenn ich zurückkehre?
Was, wenn ich mich zu sehr oder doch zu wenig verändert habe? In alte Muster zurückfalle, oder gesteckt werde, weil die Leute, die denken mich seit Jahren zu kennen mir nicht den Freiraum geben mich so zu sehen wie ich bin. (Was auch immer das heißen mag.)
Geräusche, Geschmäcker, Menschen, bekannte Situationen katapultieren mich zurück in alte Muster. Ich werde wohl einfach so viel neue Sinne, Menschen und herzerwärmende Erinnerungen sammeln wie es mir erlaubt ist, sodass die Neuen stark und geduldig genug sind um als neue Stärke hervor zu gehen.


(Sonnenstrahlen genißen!)

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