Sonntag, 26. November 2017

Rückblick

Was ist mit mir passiert in diesem einen Jahr in Israel?
Wenn ich jetzt zurückblicke auf meine Erwartungen an mich selbst dann habe ich diese mehr als nur erfüllt. Ich bin gewachsen und habe mich verändert. Ich bin fließend in Englisch geworden was mehr als nur schwierig für mich war. (Wie man an meinem Deutsch inzwischen merkt, welches ich einfach nicht mehr so oft benutze).
Ich habe so viele Menschen aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt kennen gelernt und mir ein Netzwerk aus Freunden in der Welt aufgebaut. Ich bin ein paar mal über meinen eigenen Schatten gestolpert und habe gelernt das nächste mal drüber hinweg zu springen.
Und ich habe einen enormen Wissensstand und Erfahrungsstand angesammelt. Lebenswissen und Lebenserfahrung. Durchs einfache leben, Neugierde und ein bisschen Mut.. Ich habe zwei unterschiedliche, sehr verschiedene Kulturen kennen gelernt mit zwei verschiedenen Sprachen, die gar nicht so weit entfernt voneinander liegen wie man denkt. Habe unterrichtet, mit der Erde gearbeitet und mit Menschen die äußerlich auf mich angewiesen sind, mir aber innerlich so viel beibringen konnten.
Und ich habe ein phänomenales, mir magisches Land kennen gelernt mit einer Intensität und einer geballten Energie, die ich von keinem anderen Land kenne und die ich immer noch nicht einordnen kann.
Ich kenne den nördlichsten Norden und den südlichsten Süden Israels. Die Mitte und die Straßen dazwischen. Die unterschiedlichsten Menschen. Nationalitäten und Identitäten.
Die Berge im Norden und im Süden. Salzwasser und Süßwasser. Den Staub der Nordsteine und den Staub der Wüste. Und ein kleines bisschen Grün von überall dazwischen.
Ich kenne politische Sichtweisen und Lebensweisheiten und einiges an lauten Meinungen.
Ich kenne den Sonnenaufgang hinter den Hügeln und den Sonnenuntergang entlang der Küste. Den Gesang des Muezzin und die stillen Straßen an Schabbat und Feiertagen.
Ich habe die schönsten Orte gesehen und einige der nicht so schönen. Und ich habe mich ein Stück weit gefunden. Und ein Ansatz eines Lebens. Eines schwierigen, aber eines, welches ich leben will.
Also ist es kein Wunder, dass ich jetzt wieder in Israel bin. Im gleichen Wald, aber in einem der Zelte lebe und das Grundjahr der Anthroposophie mache und mich von der Welle treiben lasse, die mich im Moment ein Stück ihres Weges mitnimmt. Nicht wegen der Dinge die ich kenne, sondern wegen all der Dinge, die ich nicht kenne und nicht weiß und die ich auch gar nicht benennen kann. Und das ist eine Menge. Eine Menge, die ich kennen lernen und herausfinden will.

Ausschnitt aus September/Abschluss

September und Abschluss:
 
Es ist wahrscheinlich ein Gesetzt der Zeit und des Erlebens, dass am Ende nochmal die besten Dinge passieren, die nur passieren können.
Die neue Gruppe kam an und die neuen nachfolgenden Freiwilligen, die mich „ersetzen“ für das nächste Jahr auch. Vielleicht liegt es an mir und an der gesamten Erfahrung die ich nach einem Jahr Gemeinschaftsleben habe, aber vielleicht war es auch einfach so. Denn die neue Gruppe ist meine Lieblingsgruppe geworden und mit Spaß und Fröhlichkeit habe ich mit denen meinen letzten Monat verbracht. Ich habe mich noch ein Stückchen wohler in Harduf gefühlt und noch ein Stückchen mehr in Israel und mehr und mehr einen wunderbaren Menschen kennen gelernt. Und wieder habe ich die größten Feiertage miterleben dürfen und zudem erlebt, dass manche Klischees einer jüdischen Mutter definitiv wahr sind.
Anfang Oktober, bevor ich geflogen bin hat hier in Sha'ar laAdam noch die Friedensübungswoche stattgefunden, welche alle zwei Jahre stattfindet. Mit einer großen Gruppe aus Europa und ein paar Interessierten aus Harduf. Ich hab an allen Ecken und Enden noch mitgeholfen, sodass ich innerlich gar keine Zeit hatte um mich auf das Zurückkommen einzustellen und gefasst zu machen. Ein Jahr geht manchmal schnell rum, ist aber eine lange Zeit um einem Ort fernzubleiben.
Und dann kam es plötzlich. Das Ende meines Dienstes.
Abschiedszeit. In der Schule, von der Gruppe, von meinem Leben als Freiwillig. Und ich irgendwo dazwischen.... Und ein unsicherer Hauch einer Idee für meinen nächsten Schritt. Mit einer Menge an Gedanken… Natürlich wollte ich in Israel bleiben. Aber ohne einen wirklichen Grund der mich voranbringt, hält es mich nirgends.
Die Idee das Grundjahr der Anthroposophie hier in Harduf zu machen hatte ich zwar schon vorher gehabt, aber nie ernsthaft. Zum Einen weil das deutsche Unterstützungssystem in Sachen Unterhalt und Bildung auf welches ich angewiesen bin, speziell wenn ich alleine weiter in Israel leben will, nicht außerhalb von Deutschland greift und zum Anderen weil das Grundjahr in Harduf auf Hebräisch ist.
Aber deswegen gibt es wahrscheinlich diese speziellen Menschen in einem Leben wie Ya'akov der Kopf von Harduf und einer der Lehrer in dem Grundjahr die einem immer und immer wieder erzählen dass man doch bleiben könnte und das Grundjahr irgendwie ins englische übersetzen könnte.... Und so wurde der Hauch zu einer lauten Hoffnung.
Also bin ich zurück nach Deutschland geflogen. Mit einer Einladung zum Grundjahr der Anthroposophie in Harduf, einem Freund in Israel und all den lieben Menschen in Sha'ar en.
laAdam und drum herum, den ich versprochen hatte, dass ich wiederkommen würde und Tränen im Flugzeug weil ich nicht gehen wollte... aber ohne einem Rückflugdatum und mit einer Menge an Zeit zum nachdenken...

(Jerusalem/August 2017)

Ausschnitt aus August

August:
Meine letzten beiden Monate im offiziellen Dienst. Und die besten! Ab Mitte August bis zum Ende verlief alles wie es nicht hätte besser sein können. Einschneiden und Intensiv wie es nur in Israel sein kann. Ein bisschen wie in einem Traum oder einem Märchen. Nur das es Realität war. Die schöne Seite der Realität. Und mit einer nochmal so geballten Intensität, sodass es kein Wunder ist, dass ich mich in Israel verliebt habe. Im doppelten Sinne...
Der August verlief anfänglich größtenteils normal. Ausflüge mit der Gruppe, Arbeiten auf der Farm und im Stall in Beit Elisha und im Wald um den Wald schnellstmöglich wieder in Gang zu bekommen und bewohnbar zu machen. Mitte August wurde der August dann phänomenal. Das fing damit an, dass ich mit einem Mädchen aus der Sommergruppe spontan nach Eilat gefahren bin und ein paar Tage dort verbracht habe. Dabei war es zwar wunderschön das Rote Meer zu sehen und auch mal im südlichsten Süden von Israel gewesen zu sein, aber nach Eilat zieht es mich kein zweites Mal. So viel protzigen Tourismus habe ich nicht mal in Tel-Aviv erlebt. Aber dafür ist ein weiterer Punkt auf meiner Israel Karte damit geschafft und eine Menge an Spaß auch.

(Eilat mit Blick auf Jordanien/August 2017)

Kurz danach ist auch die Sommergruppe gegangen und ich habe meine Schwester abgeholt die mich hier für zwei Wochen besucht hat, mit meiner besten Freundin, die etwas später gekommen ist. Ich hatte dann also über zwei Wochen Ferien und habe versucht meinen Gästen wenigstens das Wichtigste in Israel zu zeigen. Ich bin mit Hanna also in Haifa gewesen, wir haben uns das kleine Konzert von Harduf in unserem kleinen Pub angehört (sehr anthroposophisch) und dann kam auch schon Min-Dju mit ihrer Mutter nach Harduf.
Es ist komisch plötzlich sein altes Leben im Neuen wiederzufinden. Als würde man plötzlich eine Brücke bauen. Von einem Ende zum Anderen.
Min-Dju, Hanna und ich. Wir sind dann zu dritt erst einmal ein paar Tage nach Jerusalem gefahren. Und endlich endlich habe ich die Altstadt von Jerusalem gesehen und alle Heiligtümer drum herum. Ich war schon vorher ein paar Mal in Jerusalem, aber immer nur in anderen Ecken und habe mir diesen besonderen Besuch noch für den Moment mit viel Zeit aufgehoben. Und das war es auch wert!
Wir haben uns erst mal ein super günstiges Hostel direkt in der Altstadt geschnappt, bei dem man auf dem Dach übernachten konnte und die beste Aussicht überhaupt hatte. Ein paar Schritte und man stand direkt auf dem Markt, zwischen den Ständen, auf lauten Stimmbändern von den verschiedensten Angeboten aus allen Richtungen. Enge Gassen zum verlaufen (ich hatte bis zum Schluss keine Orientierung) und ein Geruch nach dem Anderen.
Wir sind die gesamte Altstadt abgelaufen, von einer Ecke zur Anderen. Vom arabischen zum christlichen zum jüdischen und zum armenischen Viertel, haben uns die Klagemauer angeschaut und uns zu den klagenden Frauen dazu gesetzt und sind auf den Tempelberg gegangen mit Felsendom und Al-Aqsa Moschee und das sogar zweimal, weil es uns so gut gefallen hat.

(Altstadt von Jerusalem/August 2017)
(Klagemauer/August 2017)
(Al-Aqsa Moschee/August 2017)   
(Felsendom/August 2017)

(Jaffa-Gate/August 2017)

(Hanna (li.) und ich/August 2017)

Die Grabeskirche und andere kleinere Kirchen haben wir auch besucht und dann habe ich die beiden sogar noch zum Yad Vashem, zum Holocaust Museum mitgenommen, welches sehr beeindruckend war. Ich hatte vorher nur einen kleinen Teil des Museums gesehen und kannte demnach die komplette Ausstellung auch gar nicht. Und mit viel Zeit und Geduld und einem offenen inneren Raum sind wir alleine zusammen mehrere Stunden durch das Museum gestreift und haben uns mit der Vergangenheit und ein Stück Gegenwart beschäftigt und natürlich hat die Zeit nicht gereicht, aber die Geballtheit der Informationen.
Wir haben Jerusalem noch um einen Tag verlängert und sind dann weiter zum Toten Meer gefahren nach En Bokek, ein Platz voller Hotels und Tourismus Mitten in der Wüste, aber da wir am Strand schlafen wollten und mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs waren, blieb unsere Wahlmöglichkeit eher eingeschränkt. Zudem sinkt das Tote Meer immer weiter ab und es gibt nicht mehr so viele Stellen an die man ans Wasser kann, ohne dass man einbricht.
Es war heiß, sonnig und ganz schön salzig. Und wunderschön!
Wir haben es dann aber doch nicht so lange dort ausgehalten. Vielleicht weil wir nicht wissen wie man entspannt und nur in der Sonne liegt und nichts tut, oder vielleicht weil wir nach den ganzen Tagen schon ein bisschen erschöpft waren. Gute getan hat es trotzdem. Und mein Buch gelesen hab ich auch. Liegend auf dem Wasser. Getragen vom Salz.
Am 27.8.2017 ein Tag vor meinem 21. Geburtstag sind wir morgens nach Tiberias und zum See Genezareth gefahren und dann direkt weiter in den Norden in die nördlichen Golan Berge Richtung Mount Hermon.
Ganz spontan und einfach so. Weil wir einmal nach Syrien gucken wollten. Und was ist besser an einem 21.Geburtstag als die Aussicht auf ein bisschen Krieg zu beobachten...
Der Hermon liegt im Grenzbereich zwischen Syrien, Libanon und Israel und ist der höchste Berg Syriens und durch den besetzten Teil durch Israel, auch Israels. Außer dem Israelischen Militär, liegt an der Spitze ein UN-Stützpunkt und da dort oben in den Golan Höhen der einzige Ort ist, wo im Winter auch mal Schnee fällt, ist es zudem ein kleines Wintersportgebiet.
Wir, also ganz spontan über Tiberias in den Norden. Fröhlich und abenteuerlustig. Und nachdem wir mit dem Bus die ganzen kleinen Städtchen abgefahren sind, sind wir ganz zum Schluss in dem nördlichsten Städtchen Majdal Shams gelandet, welches für uns zugänglich war. Eine kleine Drusen Stadt, ehemals eigentlich Syrien aber seit 1967 besetzt durch Israel und einer meiner Lieblingsplätze in Israel. Total offene und herzliche Menschen und eine gute Gelegenheit in die Kultur der Drusen einzutauchen. Spontan wie wir waren haben wir irgendwie umsonst die eine Nacht in einem Hotel übernachten können, welches voll von angeheuerten israelischen Soldaten war. Im Endeffekt haben wir auf diesem Abenteuer in einem Musikladen nebenan den ganzen Abend Musik gemacht, uns über die Identitätsfrage der Drusen dort unterhalten, welche als syrische Bürger bezeichnet werden mit permanentem Aufenthalt in Israel und nur wenige jetzt übergegangen sind in „Israelischer Bürger“ und viele andere nette Menschen kennen gelernt, meinen Geburtstagssekt am Abend im Hotel getrunken, mich dabei noch mal schnell verliebt und damit einen der wichtigsten Menschen in meinem Leben gefunden und am nächsten Morgen rauf zum Hermon gegangen und auf Syrien geguckt und dessen Dörfer bewundert.
Aber meine Geburtstagsaussicht an dem Tag war ruhig und sonnig. An vielen anderen Tagen, oder auch wenn man ein bisschen länger sitzen bleibt als ich, kann man die Raketen sehen und hören die von dem einen syrischen arabischen Dorf in das andere syrische Drusendorf fliegen.
Aber so saßen wir auf wackeligen syrischen Steinen zwischen Militärstützpunkten und Soldaten und Panzern und plötzlich war ich ein Jahr älter. Ohne grau zu werden. Und ohne mein Gleichgewicht zu verlieren.

(Majdal Shams/August 2017)
(Mt. Hermon - Aussicht auf Syrien/August 2017)
Der August Endete dann damit, dass Hanna wieder zurück geflogen ist und ich mit Min-Dju noch Abschlusstage in Tel-Aviv verbracht habe, bevor sie dann auch zurück geflogen ist und ich wenige Tage später, Anfang September zurück in den Wald ziehen durfte und mein letzter Monat begann.

Ausschnitt aus Juli

Juli:
Der Juli fing damit an, dass ich 5 Tage in Tel-Aviv verbracht habe, welche richtig schön waren und wo ich die Möglichkeit hatte die Stadt noch einmal ganz anders kennen zu lernen und wo mir noch einmal aufgefallen ist, wie klein die Stadt doch ist. Aber auch wie vielseitig, was mich dann wieder sehr an Hamburg erinnert hat. Bis ich dann plötzlich, am Strand liegend den Anruf bekam, dass die Begegnungsstätte, also mein Zuhause von der Brandschutzgesellschaft vorübergehend geschlossen werden muss.
Warum die plötzlich nach 15 Jahren ankamen und uns genau jetzt einiges an Bestimmungen und Richtlinien auferlegt haben, weiß keiner, aber jedenfalls mussten wir plötzlich Wasserrohre von Harduf bis zum Wald anlegen und bestimmte Feuerschutzfarbe an den Wänden haben, Springkleranlagen installieren und einiges mehr. Ich musste also umziehen und habe dann im Prinzip zwei Monate in Harduf im Theater gelebt. Das positive daran war, dass wir damit dann endlich starkes Wasser in unserem Wald hatten und somit auch richtige Toiletten eingebaut wurden, anstatt unserer netten Komposttoiletten.
Ich bin also in das Theater umgezogen und die kurze Sommergruppe, welche ich dann für einen Monat begleiten durfte, auch. So habe ich den Sommer damit verbracht die Gruppe, welche aus Amerikanern, Australierinnen und Mexikanern bestand, zusammen zu führen und gleichzeitig so viel wie möglich im Wald zu helfen, um den Wald so schnell wie möglich wieder bewohnbar zu machen. Zudem waren viele kleiner Dinge wie Wanderungen zu Gegenden, wo ich vorher auch noch nicht war Programm und wieder die Zeit der arabischen Hochzeit, wo ich dann auf einer Hochzeit eingeladen wurde von Leuten die ich sogar kannte. Ich weiß nicht ob es daran lag, dass sich alles veränderte oder daran dass es Sommer war oder daran, dass wieder diese typische Intensität Israels in der Luft lag, aber es war nicht unbedingt der leichteste Monat. Und zum ersten Mal konnte ich wirklich nachvollziehen warum fast alle Kriege in Israel im Sommer angefangen haben.

Ausschnitt aus Juni

Juni:
Ich knüpfe direkt Ende Mai an wo ich ja geschrieben habe dass ich Ramadan machen werde. Ramadan war vom 26. Mai bis zum 24. Juni und ich habe es wirklich durchgezogen nachdem ich ein paar Tage später angefangen hatte. Eine einmalige Erfahrung, die ich bestimmt nicht so schnell vergessen werde. Der Anfang war sehr schwer. Ich habe 11 Tage gebraucht um mich wirklich daran zu gewöhnen bis zum Abend nichts zu essen und zu trinken und nicht die ganze Zeit auf die Uhr zu gucken und die Minuten und Stunden zu zählen. Erst danach hatte ich mich so weit daran gewöhnt, dass ich nicht mehr auf die Uhr geschaut habe, weil es egal war und ich musste dann Nachts auch nicht mehr zwingend nochmal etwas essen. Ich in irgendeinem Zwischenraum zwischen Gedanken und der verschwommenen Außenwelt. Dazu direkt meine Notizen von dem Monat:
“Ich bin nicht nur aufmerksamer in meinem Umkreis, nicht nur das Essen schmeckt intensiver und alles was ich um mich herum sehe ist verstärkt, sondern ich fühle auch stärker... Ich denke ich bin emotionaler, auch wenn das schwer über einen selber zu sagen ist, wenn man Mitten drinnen steckt. Ich bin jetzt daran gewöhnt nichts zu essen und zu trinken. Ich bin immer noch ruhig. Mal sehen wie das danach mit dem wieder normal essen gehen wird.

Normalerweise macht es mir nichts aus nichts zu essen und zu trinken, wenn die Anderen es tun, nicht mal wenn wir zusammen einen Ausflug machen und zusammen irgendwo sitzen, aber Gestern musste ich weg. Die harten Tage sind die, wenn man unterwegs und in der Sonne ist und sich die ganze Zeit konzentrieren muss und dabei versucht bei allem mit den Anderen mitzuhalten.

Manchmal hatte ich nicht das Gefühl, dass ich wirklich unterstützt werde und manchmal war jeder super lieb zu mir und hat versucht mir zu helfen...

Es ist einsam obwohl man umrundet vom Leben ist. Aber das ist auch irgendwie der Punkt. Somit wird Freiraum geschaffen für die Beschäftigung mit sich selber (und mit der Religion).”
Im Nachhinein kann ich sehen, dass es mich im Ganzen doch ganz schön viel Kraft gekostet hat, aber ich bin froh, dass ich es durchgehalten habe und die Erfahrung gemacht habe.

Mitte Juni bin ich dann mit einer Tour (Breaking the Silence) nach Hebron, was definitiv ein Höhepunkt in diesem Monat war!
Breaking the Silence ist eine israelische Organisation, bestehend aus Soldaten nach ihrem Wehrdienst, welche sich entschlossen haben die Öffentlichkeit über die Realität der besetzten Gebiete aufzuklären. So sind eine ganze Menge an Berichten zustande gekommen und festgehalten worden.
Kurz als Zwischeninformation: Hebron ist eine Stadt im Westjordanland und ist eine der ältesten ununterbrochen bewohnten Städte der Welt. Sie ist aus verschiedenen Gründen wichtig für alle drei großen Weltreligionen, aber besonders für das Judentum und den Islam und somit ein zentraler Konfliktpunkt. Juden und Moslems streiten und kämpfen immer noch um jedes bisschen Besitzrecht dieser Stadt. Und wer ab und an die Nachrichten in Israel verfolgt hat, weiß auch, dass Hebron der Ort ist, an dem die Besetzung am meisten spürbar ist und am aktivsten stattfindet. Immer noch. Und jeder von außerhalb, der ein bisschen Verstand besitzt, hält sich nicht zwingend länger in Hebron auf.

Schon wenn man von Jerusalem nach Hebron fährt, merkt man schnell, dass sich die Energie verändert. Man fährt nämlich an einer Menge hohen Mauern und Zäunen vorbei. Überquert Grenzübergänge und Soldaten. Und je dichter man an Hebron heran kommt, desto schlimmer wird es und desto leiser und schmaler wird die Welt.

Hebron ist unterteilt in Zonen. H1 und H2. H1 ist der größere Teil in dem Palästinenser leben und Israelis nicht erlaubt sind und H2 ist der kleinere Teil in dem Palästinenser und eben um die 800 orthodoxe Juden leben, geschützt von israelischen Soldaten. Anders als in anderen Städten im Westjordanland leben in Hebron eben die Juden auch im Stadtzentrum, in manchen Situationen Tür zu Tür zu den Palästinensern und nicht in separaten Siedlungen. Schikane und Gewalt gegen Palästinensern erlebt man hier jeden Tag. Sogar nur wenn man wie ich einen Tag dort verbringt.

Die Innenstadt von Hebron ist eine Geisterstadt. Seit 2000 wurden um die 1800 Geschäfte geschlossen und mehrere Tausend Familien sind aus der Innenstadt geflohen. Irreal. Verlassene Straßen, einsame Soldaten und die pralle Sonne, welche dir einzureden versucht, dass, wenn man es sich nur kräftig genug vorstellt Hebron voller Frieden ist.
Ich glaube das Besondere an Hebron ist, dass man dort keine Ausreden und Ausflüchte mehr suchen kann. Kein Runterspielen, Kleinreden und wegschauen. Es packt dich einfach und zeigt dir was du eigentlich eh schon wusstest, aber schnell vergessen kannst.
Das Ding mit Israel ist, dass du immer egal wo du lebst in einer Blase lebst. Ob Harduf, Tel-Aviv, Jerusalem, Westbank, Golans. Egal wo du in Israel bist, es ist Grundverschieden. Deswegen ist das vergessen so einfach. In keinem anderen Land, welches ich kenne ist das Land in so viele verschieden gespaltene Welten aufgeteilt.

„Laufe mit der Gruppe von Breaking the Silence durch Hebron. Schon von Anfang an werden wir belagert von einem orthodoxen Juden der uns anpöbelt und Politik betreibt. Es ist schwer nicht drauf einzugehen, aber ich bin ja jetzt ein sehr geduldiger Mensch. Unser Leiter kennt den Mann schon.
Die Energie ist schwer und dick und drückt die Luft zur Seite. Atme schneller um die Luft nicht zu verpassen. Versage kläglich, aber das mag auch daran liegen, dass es sehr heiß und immer noch Ramadan ist und ich schon lange nichts mehr getrunken habe.
Wir sind in einer jüdischen Straße und kommen zu dem einen Haus, in welchem Palästinenser wohnen. In einem Haus zwischen all den anderen jüdischen Häusern. Das Haus ist eingezäunt. Von oben bis unten. Von allen Seiten. Dicke Stahlgitter zieren die Fassade, die vielleicht schön wäre, wenn sie in Freiheit da stehen würde. Tut sie aber nicht. Den Arabern in dem Haus ist es nicht erlaubt den Vordereingang zu benutzen. Soldaten stehen herum und beschützen.... warte wen? Wozu der Käfig? Um die die palästinensische Familie zu schützen oder um die Juden zu schützen? Naja kann man ja schnell mal verwechseln.. und wenigstens ist der Metallkäfig in dem die Familie lebt in verschiedenen Farben... Oder vielleicht ist es auch nur das verblasste Metall... vielleicht.“
(Hebron die Geisterstadt/Juni 2017)

Montag, 5. Juni 2017

Ausschnitt aus Mai

Mai:
Ende April, Anfang Mai haben wir dann noch die anderen beiden großen Feiertage gefeiert.
Am 1.Mai war der Nationale Gedenktag. Also der Gedenktag an die gefallen israelischen Soldaten und Opfer des Terrors. Der Gedenktag beginnt wie jeder Feiertag am Abend zuvor und wird wie auch schon der Holocaust Gedenktag mit den Sirenen eingeläutet. Am Morgen folgten dann um 11:00 die Sirenen für zwei Minuten nochmal. Für mich war dieser Tag viel intensiver als der Holocaust-Tag. Wir waren wieder in Beit Elisha zu einer Zeremonie eingeladen, welche wieder wunderschön gestaltet war und wieder einmal ist mir bewusst geworden dass unter dieser fröhlichen, tiefen Schicht der Israeli, eine Seite voller Trauer steckt. So gut wie jeder in diesem Land hat jemanden verloren, den er kannte und jeden Tag kommen Opfer dazu. Von den meisten Menschen habe ich jetzt schon gehört, dass immer wenn etwas passiert jeder hofft die Person nicht zu kennen und wenn dann der Name des Kibbutz oder des Ortes rauskommt aus dem das Opfer stammt, eine hohe Chance besteht, dass sie diesen Menschen doch gekannt haben. Israel und auch Palästina ist ein kleines Land und die Menschen kennen sich hier.
Schauen wir uns nur mal die letzten paar Tage mit Beispielen an um es zu verdeutlichen.
30.Mai 2017– Ein Israeli fährt mit seinem Auto durch ein Protest von Palästinenser. Es wird hektisch. Demonstranten wenden sich gegen das Auto. Der Israeli erschießt einen Demonstranten und verletzt einen weiteren.
31. Mai 2017– Eine Frau wird in Tel-Aviv in einer Schießerei erschossen ein anderer verletzt.
2. Juni 2017– Ein 15 Jähriges Palästinensisches Mädchen versucht auf einen Soldaten einzustechen, sie wird sofort angeschossen. Filme zeigen wie die Soldaten sie beleidigen während sie blutend und weinend daliegt. Das Mädchen stirbt.
Dazu kommen noch die Stromausfälle in Gaza, Hungerstreiks und all die Vorfälle an den Grenzen und in Syrien von israelischer Seite. Klar, dies sind „kleine Vorkommnisse“ . Aber sie passieren jeden Tag und zwar nur wegen dem Konflikt und es gibt bestimmt mehr von denen ich gar nichts weiß. Hier im Norden und mit der israelischen Presse ist es einfach zu vergessen, das Israel im Krieg und tief zerüttelt ist.
Ein Grund wieso der Unabhängigkeitstag also direkt nach dem nationalen Gedenktag stattfindet,ist, um die Menschen daran zu erinnern, welcher Preis für die Unabhängigkeit gezahlt werden musste.

Am 8.Mai bin ich dann mit den anderen deutschen Freiwilligen von Beit Elisha nach Jerusalem gefahren da unser Bundespräsident Steinmeier zu Besuch in Israel war und eine Veranstaltung für alle deutschen Freiwilligen Helfer oder Berufe organisiert hat. Ich hab mich plötzlich wieder wie in Deutschland gefühlt. Um mich herum all die schick gekleideten Leute, Diplomaten, Freiwillige und ich als Waldmensch zwischendrin. Mir ist nicht mal in den Sinn gekommen mich aufzustylen nach westlicher Art und so gab es doch einige Blicke für uns deutschen aus Harduf mit unseren bunten, freien anthroposophischen Stil. „Im Herzen sehen wir doch alle so aus.“
Ich glaube mir ist jetzt noch mal bewusster geworden, was mein Status als Deutsche ist und wie viele Privilegien ich doch genieße.

Ein weiteres Thema war wieder Musik für mich im Mai. Ich hab wieder viel improvisiert und mein Cello wieder unglaublich vermisst. Jetzt ist es aber auch wieder so warm (um die 30Grad), sodass die Abende anfangen, wo man am Feuer sitzt und musiziert.
Auch haben wir jetzt mit den Biografiearbeiten in dieser Gruppe angefangen, also wird auch das in der nächsten Zeit etwas sein, was mich beschäftigen wird.
Auch habe ich dann den Schritt gemacht ein bisschen mehr Kontakt wieder nach Hause zu haben, nachdem mir meine Schwester eine etwas verzweifelte Nachricht geschickt hat. Es ist eben manchmal doch nicht die einfachste Situation die einzige zu Hause zu sein, nachdem Raffael und ich uns etwas davon geschlichen haben in allen Bereichen. Schon gar nicht wenn jemand im Moment seine Krankheit bekämpfen muss und dann eben doch alles drunter und drüber geht und die Energie schwer haltbar ist. Und so gerne ich nicht in all das und Deutschland involviert sein will, kann man vor seiner Rolle nur eine bestimmte Zeit die Augen verschließen oder weglaufen.

Die letzten beiden Wochen waren jetzt auch nochmal richtig schön, denn eine Menge an Theaterstücken und Werken wurden erarbeitet und gezeigt.
Die Leute aus dem Grundjahr der Anthroposophie (26 junge Menschen) haben drei Wochen hier im Wald verbracht und beide Teile von Jim Knopf als Theaterstück eingeübt, welches sie dann auch 4 Tage lang gezeigt haben. Ein 5 Stunden langes Stück mit einem gigantischen Bühnenbild. Den Mai über war der Wald also mal richtig belebt und ich habe es genossen so viele nette Leute hier zu haben.
Auch meine Gruppe ist intensiver ans Theaterproben gegangen und wir haben fleißig an unserem Stück Pu der Bär geprobt. Auch Beit Elisha hat mit den Freiwilligen und den Membern ein Märchen als Theaterstück eingeprobt und aufgeführt, was unglaublich schön geworden ist. Zudem kamen an dem einen Wochenende auch alle Eltern der Member und es gab ein großes Fest nach der Aufführung.
Sehr schön war es, als Carola und Ulf, Hanna's Patentante letzte Woche in Harduf waren und mir nicht nur meinen Laptop mitgebracht hat, sondern ich auch ein wenig Zeit mit ihr verbringen konnte und ich ihr erzählen konnte wie es mir hier so ergeht.
Am 30. Mai haben wir dann den Wald schön geschmückt für unser großes Shavuot Festival und sind am Abend nach GanHabait gegangen, der organischen Farm von Harduf. Was einfach auch richtig schön war, denn so gut wie ganz Harduf war dort und mir ist dann aufgefallen, dass ich mir hier doch richtig etwas aufgebaut habe und ich Freundschaften von den verschiedensten Kreisen habe. Von den Leuten aus meiner Gruppe, den Waldleuten, den Freiwilligen aus Deutschland und Israel zu den Leuten die das Grundjahr der Anthroposophie machen oder auch Speech und Drama studieren oder auch einfach Leute aus Harduf, die man nach der Zeit einfach kennen lernt. Und wenn man dann den Moment erreicht, wo man auf einer Veranstaltung ist und jeden Meter stehen bleibt, weil man jemanden begrüßt den man kennt, dann fühlt sich das mehr als zu Hause an. Ich
bin also wie immer erfüllt von all den kleinen Begegnungen und Momenten, die ich sehr nah an meinem Herz trage und für mich so kostbar sind. 

  (Meine Gruppe in GanHabait: v.li.n.r.:Joe, Leah, Michael, Ryan, Ich, Jordan, Carly, Mai und Ross)

Am 31.Mai haben wir dann unser großes Shavuot Festival hier im Wald gehabt. An Shavuot erinnert man sich an den Empfang der 10 Gebote, zudem ist es im Prinzip auch ein Erntedankfest und das christliche Pfingsten. Wir haben einige Kunstworkshops gehabt und unser Theaterstück aufgeführt. Zudem hat die Koexistenz Theatergruppe und das erste Jahr Speech und Drama auch ihre Stücke aufgeführt. Am Ende gab es noch eine Friedensdiskussion, in welcher ein Palästinenser unter anderem von seinem Leben erzählt hat, was wie immer sehr beeindruckend war.
Wie auch in Deutschland hat am 27.Mai der Ramadan angefangen und ich habe mich jetzt entschlossen Ramadan mit zu machen. Ich hab zwar ein paar Tage später angefangen, bin aber fest entschlossen den ganzen Monat durch zu ziehen. Konkret heißt das: Zwischen 4:00 morgens und 20:00 (Zeiten variieren von Land zu Land) darf nichts gegessen und getrunken werden. Und generell den Monat kein Rauchen, Sex und Alkoholkonsum. Warum? Ich bin nach Israel gekommen um die Kulturen hier kennen zu lernen. Ich hab eine gute Vorstellung von der jüdischen, aber die arabische ist genauso ein Teil dieses Landes. Manche Dinge muss man ausprobieren um sie zu verstehen, das habe ich schon gesagt als ich die eine Woche letztes Jahr ein Kopftuch getragen habe und Ramadan gehört auch unter diese Rubrik. Jetzt ist die beste Zeit um Ramadan auszuprobieren und solidarisch hinter den Muslimen hier zu stehen und meine Grenzen aus zu testen und an mir zu arbeiten wenn ich durstig und hungrig und müde bin, weil ich Nachts um 3:30 aufstehen muss um zu essen.


(AlonHaGalil)


(Wald vorbereitet für Shavuot)

(Es wird Sommer)

8 Monate. Und vielleicht habe ich immer noch nicht den Grund gefunden wieso ich hier bin, aber wenn ich nur auf die letzten Monate zurück blicke, ergeben all die Sekunden, Minuten, Momente, Begegnungen einen Sinn in einem Bild voller Progress und Veränderung.
Was treibt uns an, uns fortwährend verändern zu wollen? Die Menschen um uns herum? Die Idee ein guter Mensch sein zu wollen oder zu müssen?
Jetzt habe ich mich entschlossen noch 6 Wochen länger hier zu bleiben, sodass ich auch noch in der Friedensübungswoche Anfang Oktober dabei sein kann und komme erst danach wieder zurück nach Deutschland. Ich hab also sogar noch einiges an Zeit und trotzdem fangen langsam meine Gedanken und Gefühle an sich zu verändern. In dem Sinne, dass ich nach all der Zeit langsam und vorsichtig anfange Momente und Situationen mit meinen Freunden zu vermissen.
Und trotzdem strauchle ich etwas bei dem Gedanke an 'zurück gehen'. Was, wenn ich all das erlebte, all den Progress , all die kleinen spirituellen Geschenke, Schubser und Veränderungen, die ich hier bekomme und mache, verliere und/oder nicht halten kann wenn ich zurückkehre?
Was, wenn ich mich zu sehr oder doch zu wenig verändert habe? In alte Muster zurückfalle, oder gesteckt werde, weil die Leute, die denken mich seit Jahren zu kennen mir nicht den Freiraum geben mich so zu sehen wie ich bin. (Was auch immer das heißen mag.)
Geräusche, Geschmäcker, Menschen, bekannte Situationen katapultieren mich zurück in alte Muster. Ich werde wohl einfach so viel neue Sinne, Menschen und herzerwärmende Erinnerungen sammeln wie es mir erlaubt ist, sodass die Neuen stark und geduldig genug sind um als neue Stärke hervor zu gehen.


(Sonnenstrahlen genißen!)

Ausschnitt aus April

April:
Der April war ein gemischter Monat. Nachdenklich aber voll mit schönen Ereignissen.
Das Wetter war schon richtig warm und heiß, was für mich schon 80% meiner Stimmungslage ausmacht. Der Start war zwar etwas trubelig und voll und ich hatte das Gefühl eine Pause von der Gruppe würde nicht schaden aber im gesamten lief es recht gut. Die Arbeit lief gut und auch das Gruppenleben machte keine großen Probleme und war einfach, aber das mag vielleicht auch daran liegen, dass ich emotional nicht so involviert bin wie mit der alten Gruppe. Ich hatte dann aber zwei sehr intensive, gefüllte Wochen um Pessach rum, die unglaublich schön waren. Ich habe mich viel mit den Leuten aus Harduf getroffen, war mit meiner Gruppe in den Golans wandern und war mit einigen Leuten auf einem großen Konzert in der Nähe von Tel-Aviv. Die Kinder in der Schule haben mir sogar Zeichnungen gebastelt, weil ich dann erst mal endlich 8 Tage Pessach und Passoverferien hatte, was sehr süß war, da ich wirklich gemerkt habe, dass ich als ein Part der Schule angekommen und angenommen bin und wurde. Ich bin dann zwei Tage zum toten Meer über die 90' an Jericho vorbei gefahren. Eine unglaublich schöne Route, an der man miterleben kann, wie grüner Wald in trockene Gegend umschlägt bis hin zur Wüste und staubigen Felsen.
Das tote Meer ist ja ein Wunder für sich und definitiv der richtige Ort seine Seele baumeln zu lassen. Der Boden ist voller Salzstücke an denen man sich schnell schneidet wenn man nicht aufpasst. Ich habe ein paar davon mitgenommen die abgewaschen aussehen wie Kristallstücke.

(Totes Meer im Morgengrauen, 7.April 2017)

Sand, Bäume, Feuer, Zelt, Skorpione, Mond und Sterne und schwere Gedanken. So ruhig und zufrieden und gemütlich wie lange nicht mehr. Der Wind rauscht. Direkt durch mich hindurch und lässt kein Platz für Dunkelheit. Fortgefegt und ausgekehrt. Schwimmen und auf dem Wasser liegen in dem salzigen Wasser und Körper mit Schlamm und Sand bedecken. Rieche das Salz auf meiner Haut und lasse mich für einen Moment davon einlullen. Friedvoll im Gleichgewicht.

Ich hatte vorgehabt meine Ferien in Ägypten auf der Sinai Halbinsel mit Omer, einem israelischen Freiwilligen zu verbringen und ich hatte schon den Monat davor mich um den ganzen Visum Kram gekümmert, doch nachdem dort die beiden Anschläge auf Christen stattgefunden haben und Politik nun mal Politik ist und Israel es nicht gerne hat, wenn Israeli an Pessach und Passover zum Sinai fahren, hat die IDF kurzerhand die Grenze geschlossen während wir auf dem Weg im Auto saßen.
Alle anderen außer mir waren wahrscheinlich froh drüber...

Stattdessen hatte ich eine wundervolle Woche mit Omer und noch zwei anderen deutschen Freiwilligen in Israel. Wir sind an den unterschiedlichsten Plätzen und Orten gewesen und haben eine Menge an netten Menschen getroffen. Auf dem Weg zu Omer's Kibbutz „Hazor“ haben wir in Neve Shalom (Oase des Friedens) Freunde besucht. Neve Shalom ist ein kleines Städtchen was sich Auszeichnet in dem dort Gleichviel Juden wie Araber wohnen und wirklich an Gemeinsamkeit und Zusammenarbeit gearbeitet und Wert darauf gelegt wird. Wir waren kurz in dem Haus der Stille, einer moderne Grotte in der wir uns noch ewig aufgehalten und gesungen haben und sind dann noch zu dem Kloster gegangen, welches unweit von dem Städtchen entfernt liegt. Und wieder einmal haben mich die Israeli mit ihrer Beobachtungsgabe überrascht. Denn ich wurde in dem kleinen Weinladen plötzlich auf mein Tattoo angesprochen und ob meine Augen denn nicht auch lächeln könnten. Ich kam dann mit einem geschenkten Wein wieder hinaus...

Pessach am 10.4 in Hazor war bis jetzt eines meiner Lieblingsfeiertage und Feste der Juden. An Pessach wird der Auszug der Juden aus Ägypten gefeiert und zwar mit großer Nacherzählung und Gesang und Schauspiel und allem möglichen. Zudem war der Abend meine erste richtige Kibbuzim Feier, was definitiv etwas sehr schönes und wertvolles war. Ich habe es genossen mit dem Kibbutz zusammen in der Essenshalle zu sitzen und deren Riten und Traditionen mitzumachen. Zur Pessach-zeit wird z.B. nichts gesäuertes gegessen. Es ist in den Tagen fast unmöglich in nicht arabischen Läden normales Brot zu kaufen und jeder isst Matze (Matza), was wirklich nach nichts schmeckt, ich aber aus Deutschland kenne und sogar gerne esse.

Wir sind am nächsten Tag dann runter an Ashdodd vorbei nach Nitzan an den Strand gefahren und haben dort den Tag verbracht bis wir dann Abends zum Rainbow Gathering weiter gefahren sind. Auch ein sehr interessantes Event, von dem ich vorher noch nie gehört hatte, was es aber auf der ganzen Welt gibt und in Israel doch auch sehr bekannt ist. Die Regenbogen-Treffen finden immer an den abgelegensten Orten statt unter freiem Himmel und sind eine Art spirituelle-Hippie-Öko Kommune mit allen Möglichen Workshops und zum Teil abstrakten Ansichten, aber konzentriert auf Naturverbundenheit und Frieden. Wie haben eine Menge an schöner Musik gemacht und nette Menschen getroffen und haben dann bei einer Freundin im Kibbutz Kfar Aza geschlafen, ein Kibbutz nicht mehr als 5 km vom Gazastreifen entfernt. Die Zäune waren doppelt so hoch und Gaza konnte man natürlich sehen. Aber diese Nacht war es ruhig. Ausnahmsweise...

Am nächsten Tag ging es nach Be'er Sheva, der Wüstenhauptstadt. Eine graue, öde und triste große Stadt, die an sich nichts wirkliches schönes hat. Und von dort aus nach Sde Boker und Midreshet Ben Gurion und weiter in die Wüste zum Mitzpe Ramon, einem kleinen schönen Städtchen mit viel Kunst und dem „berühmten“ Krater. Wir sind dort zur Ein Akev Quelle gewandert und haben die Zeit genossen. 

(Ein Akev, Negev, 14.4.2017)
 
Auf dem Rückweg nach Harduf haben wir noch eine Nacht am Strand von Hadera verbracht am Ostersonntag, wo wir ,Uri, einen Freund von Omer besucht haben. Und mal wieder wurde mir bewiesen, dass Harduf Biografiearbeit sehr ernst nimmt, denn in dieser Nacht saß ich sehr lange am Feuer nachdem ich Uri von den Biografiearbeiten erzählt habe und er mir darauf hin kurzerhand sein gesamtes Leben erzählt hat. Schon jetzt bekommt jede Lebensgeschichte einen besonderen Platz in meiner Welt. Ich hab kein Ostern gefeiert, nicht mal ansatzweise, aber ich habe ein weiteres Leben, eine weitere Persönlichkeit gesammelt und das ist genug gewesen.
Ich hab die Tage danach noch auf kleinen Festivals verbracht und mit den unterschiedlichsten Menschen verbracht und auch wieder selber angefangen an meiner Biografie zu arbeiten, weil ich sie irgendwann im Juni nochmal erzählen muss.
Wir hatten noch drei (Feier-) Tage im April/Mai, welche sehr bedeutend für Israel sind. „Yom HaShoa“ der Holocaust Gedenktag, „Yom HaZikaron“ der Nationaler Gedenktag und „Yom HaAtzmaut“ der Unabhängigkeitstag Israels. Der Holocaust Gedenktag war dieses Jahr am 24.4. Wir sind an dem Tag nach Jerusalem gefahren und ins Yad Vashem gegangen, dem Holocaust Museum. Dort werden 6 Fackeln zum Gedenken an die 6 Millionen jüdischen Opfer des Holocaust angezündet und um 10:00 heulen die Sirenen im ganzen Land für 1-2 Minuten. Wir waren gerade auf der Autobahn und es war schon erstaunlich zu sehen, wie plötzlich die Autos anhielten die Menschen aussteigen und alles für diese kurze Zeit schweigend stillsteht. Selbst Radio und Fernsehsender verzichten an dem Tag auf Unterhaltungsmusik und -programme. Im Yad Vashem haben wir über die unterschiedlichen Dilemma des Holocaust geredet und verschiedene Geschichten betrachtet. Ich hätte selber von mir erwartet mich als Deutsche schuldig und unwohl zu fühlen, das war aber kein einziges mal der Fall. Auch die Zeremonie in Beit Elisha war wunderschön gestaltet mit Musik und kleinen Vorträgen und einem Berg voller Kerzen.
Aber die Krönung im April war definitiv die arabisch Hochzeit, auf der ich eingeladen war. Denn das war nicht nur meine erste arabische Hochzeit, sondern auch meine generelle erste und einzige Hochzeit überhaupt auf der ich war. Laut, lustig und eine Menge an gutem Essen. Nicht mal der Gedanke, ob die Frau ihren Mann selber ausgesucht hat oder nicht konnte die schöne Stimmung kaputt machen oder meinen Wohlfühlfaktor beeinflussen.

Wie man schon bemerkt, habe ich die letzten beiden Monate eine Vielzahl an unterschiedlichen Gruppen und Menschen kennen lernen dürfen. Ein großes Geschenk, solch ein differenziertes Bild von Israel zu bekommen, welches wahrscheinlich nicht so viele Menschen von Israel zu Gesicht bekommen. Ich bin dankbar, dass ich die Möglichkeit habe eine Kultur und ein Land mit solch unterschiedlichen Facetten kennen lernen zu dürfen.

Sonntag, 4. Juni 2017

Ausschnitt aus März

März:
Der März wurde dann wieder besser. Nicht nur von meiner Stimmung, sondern auch weil ich schöne Momente erleben durfte und schöne Begegnungen gemacht habe. Kleine Momente zwischendrin die mir doch immer wieder den Tag versüßen. So haben wir diesen Monat unter anderem am 11.3-12.3 das Fest “Purim” gefeiert. (“Purim ist ein Fest, das an die Errettung des jüdischen Volkes aus drohender Gefahr in der persischen Diaspora erinnert. Nach dem Buch Ester versuchte Haman, der höchste Regierungsbeamte des persischen Königs, die gesamten Juden im Perserreich an einem Tag zu ermorden. Königin Ester führt jedoch durch Fasten und Gebet die Rettung herbei.”). Vorher hatten wir eine kleine Purimfeier hier im Wald. Wir haben eine Woche vorher Namen gezogen und sollten besonders nett zu dieser Person sein und dann an dem Tag gab es für jeden von der geheimen Person ein kleines Geschenk. Eine kleine Geste, die viel Spaß in die ganze Gruppe reinbrachte. An Purim direkt war ich dann ein paar Tage in Tel-Aviv und habe einige Zeit mit der Hälfte meiner neuen Gruppe verbracht, was sehr schön und gut war. Zudem ist in Tel-Aviv auch eine ganze Menge los an Purim. Der Brauch ist es nämlich sich zu verkleiden und auf große Paraden zu gehen. Im Prinzip wie Karneval. Und wie es typisch für Israel ist bin ich plötzlich Bekannten aus Deutschland und Freiwilligen aus dem Zwischenseminar über den Weg gelaufen und habe nette neue Begegnungen gemacht.

Und dann wenige Tage später bin ich mit meiner Gruppe auf ein Wüsten Seminar gegangen, was von Masa ausgegangen ist, der Organisation, welche die jüdischen Leute hier unterstützt und ich durfte mich mit schleichen. Wir waren also mit anderen jungen jüdischen Leuten (Amerikanern) aus anderen Programmen hier in Israel zusammen für ein paar Tage unterwegs und das war bis jetzt eines der besten Dinge. Nicht nur weil ich das erste Mal richtig Zeit in der Wüste verbracht habe, sondern auch weil unser Programm so vielfältig und interessant war.
Steppe. Wüste. Brauner Stein. Vereinzelt grüne Büsche. Hügelige Landschaft. Steinig und trocken. Ausgedörrt obwohl es Frühling ist. Kleine Containersiedlungen in Abständen. Hirten mit ihren Schafen und Ziegen überall auf der Jagd nach dem bisschen Grün was jetzt im Frühling hervorgesprossen ist. Vollverschleierte Frauen. Pferde. Kamele. Keine Spur von Elektrizität oder Wasser. Ein kaputter Panzer steht verwahrlost herum. Müll liegt herum. Unterstände und Gehege mit Blechdecken spärlich abgedeckt. Kleidung auf einer Leine am trocken. Stillgelegte Fabriken. Wüstenstein leuchtet in Gelb, Braun, Grau und Rot mit scharfen Kanten in der prallen Sonne. Militärhelikopter brettert über meinen Kopf hinweg und Überbleibsel von allen Möglichen Gebilden sind zu sehen. Leben der Beduinen-Araber!
(Eines der vielen nicht registrierten Settlements von den Beduinen-Araber)

(Negev)
Die Wüste ist so still...Friedfertig! Ich will einfach hier sein. In der Sonne sitzen, den Wind auf meinem Körper spüren und warten bis die Ruhe von außerhalb in mein rastloses, verwirrtes Herz findet und mich umhüllt.
Angefangen haben wir unser Seminar in dem wir eine Fahrradtour in der Gegend von Nitzana gemacht haben, einem kleinen Ort im Westen der Wüste, nicht weit vom Gazastreifen entfernt und ziemlich direkt an der Grenze zu Ägypten.
Zudem haben wir einige Zeit in einem Flüchtlingscamp verbracht und uns dort die Geschichten von Menschen Größtenteils aus Afrika (Meist Sudan) angehört, welche nach Israel geflüchtet sind und uns erzählt haben wie deren Lage nun aussieht und wie Israel mit Flüchtlingen umgeht. Und da dieses Camp auch schon Mitten in der Wüste im Nirgendwo ist, kann man sich wahrscheinlich denken, wie Israel generell dazu steht...
(Nitzana, März 2017)
Weiter ging es nach Arad, einer Stadt auf der Ostseite des Negev, wo wir am nächsten Tag etwas entfernt von der Stadt 8 Stunden lang Richtung totes Meer in der Wüste auf dem Tzuk Tamrur trail wandern waren. Ein unvergessliches und schönes Erlebnis!

(Negev)

(Aussicht aufs Tote Meer, Tzuk Tamrur trail)
(Tzuk Tamrur trail, März 2017)

Am letzten Tag haben wir uns noch mit Salima, einer Beduinen Frau in einer der Beduinen-Communities getroffen, die uns ein ziemlich genauen Einblick in ihr Leben als Frau und als Feministin unter den Beduinen und Arabern gegeben hat. Dazu muss man etwas ganz wichtiges über den verschiedenen Standard und die Einteilung der Araber in Israel wissen, was auch mit der komplexen und schwierige Identitätsfrage hier zu tun hat und was ich glaube ich noch gar nicht richtig erklärt habe. Ganz grob gesagt (es gibt immer kleinere Ausnahmen) jeder „Bürger“ Israels ist Israeli. (Palästina und Palästinenser mal ganz rausgelassen, das wird dann nur noch komplizierter). Dann haben wir aber ja die große Spanne zwischen den Arabern und den Juden (beides aber Israeli). Die Araber sind von der Religion auch noch mal gesplittet in Moslems und ein kleiner Teil an Christen und Drusen. So weit so gut, aber viel wichtiger um das Leben hier etwas besser zu verstehen ist, dass man unterscheidet zwischen den Arabern die in all den (Groß-)Städten wohnen (überwiegend keine Beduinen) und dann den Beduinen-Arabern im Norden und den Beduinen-Arabern im Süden.
Nach dieser Reihenfolge wird ein bisschen auf einander abgeschaut und der Lebensstandard zeigt es am besten. Ich habe mit den Beduinen-Araber im Norden zu tun. Und obwohl die Beduinen in der arabischen Welt eine Minderheit sind, sind die Unterschiede zwischen Nord und Süd doch sehr groß. Beduinen im Norden haben überwiegend Geld, stattliche Autos und Häuser. Schicken ihre Kinder zur Schule und sogar Frauen haben mehr Freiheiten. Die Beduinen im Süden leben in den Blechbaracken, wie man auf dem Foto weiter oben sehen kann. Oft keine Elektrizität und Schwierigkeiten an Wasser zu kommen. Kinder helfen im Haushalt und mit der Arbeit mit und gehen nicht zwingend zur Schule, oder nicht nach der 6.Klasse. Das Leben ist härter in der Wüste, selbst wenn die Beduinen nicht mehr herum ziehen. Frauen sind immer noch abhängig von den Gesetzen und dem Wort der Stammesführung, obwohl diese theoretisch natürlich keine Gültigkeit besitzen. Dort Feministin zu sein bedeutet einen Mann zu haben der einen unterstützt, sodass man die Kinder auch nach der 6.Klasse noch in die Schule schicken kann und seine Kinder im Haus so erzieht, dass sie offen und stark genug sind vielleicht eines Tages in der Stadt arbeiten zu können.
Nach dem wir Salima besuchen waren, sind wir nach Dimona gefahren, haben dort eine kleine Tour gemacht und haben dann dort die Black Hebrew Community besucht. Auch eine sehr interessante Begegnung. Die Community besteht aus Afroamerikanern, die glauben dass sie von den antiken Israeli abstammen und praktizieren demnach ein Mischmasch aus Christentum und Judentum. Sie werden als Hebräer bezeichnet, werden aber überwiegend nicht anerkannt. Eine ganze Menge an Hebräer und Communities leben immer noch in Amerika, was der Grund ist wieso die Hebräer in Israel überwiegend auch Englisch sprechen und die Kinder dort ihre eigene Sprache aus Englisch und Hebräisch kreiert haben. Beeindruckend in der Community ist der strikte Veganismus und die Idee nur natürliches verwenden zu dürfen und tragen zu wollen.
Insgesamt habe ich einige vielfältige neue Seiten von Israel gesehen, die es mir Möglich machen das Land nochmal besser zu verstehen.

Ansonsten ist im März noch Panni, meine ungarische Mitbewohnerin wieder zurück gegangen, sodass ich seit dem den Raum für mich alleine habe. Einen kleinen Stimmungseinschlag gab es, als die Leute vom Feuerschutz hier waren und angefangen haben den Wald Rot zu markieren. Sha'ar laAdam ist nun mal kein natürlicher Wald, sondern besteht aus gepflanzten Pinien, die nun mal gerade hier sehr gefährlich sind, wenn sie dichter als 10 Meter zueinander stehen. Das heißt ca. 80% von unseren Bäumen müssen gefällt werden, was eine ganze Menge ist! Wir sind also zwischendurch immer wieder am fällen. Und natürlich werden wir hier andere Bäume und Obstbäume anpflanzen, aber das braucht eben seine Zeit.
Aber wir haben nun auch ein kleines Gewächshaus hier im Wald aufgebaut, wo wir selber Setzlinge ziehen können. Es tut sich also rundherum etwas, wenn auch Schritt für Schritt.